Schon fast eine Granadina

Schon fast eine Granadina

In Jeans und T-Shirt ans Flamencofest? «Imposible!», ruft  Mercedes. Meine Airbnb-Gastgeberin schüttelt entschieden den Kopf. Es ist Samstagabend, wir bereiten uns vor, um an ein Flamencofest zu gehen. Es ist die Eröffnung zu Fronleichnam, der in Granada mit einem grossen Fest gefeiert wird, das schon am Wochenende vor dem 20. Juni beginnt. An diesem Abend werden in den Hauptstrassen überall bunte Lichter angezündet, die dann während einer Woche abends leuchten. Mercedes hat angeboten, mich ans Eröffnungsfest mitzunehmen. Auch der andere Gast, Tin, eine junge Frau aus Malaysia, ist dabei. Nun stehen wir also mit unseren Freizeitoutfits im Flur des Airbnbs und Mercedes fragt uns, ob wir keine Kleider dabeihätten. Sie selbst trägt ein schwarzes Flamencokleid und findet, in Hosen können wir nicht an ein Flamencofest gehen. Sie verschwindet in ihrem Schlafzimmer und kommt mit mehreren Flamencoröcken und einem Kleid zurück. Sie hält sie uns vor den Körper und sagt, wir sollen sie anprobieren. Ich bekomme ein rosa Kleid mit Punkten. Mercedes ist etwa 15 Zentimeter kleiner als ich, aber das Kleid passt trotzdem. Nur fühle ich mich neben den anderen zwei Frauen, die schwarz tragen, wie ein Papagei. Aber Tin und Mercedes versichern mir, dass ich gut aussehe.

Immer wieder kramt Mercedes aus ihrem Wandschrank neue Accessoires hervor: Einen Gürtel, einen Schal, eine Stoffblume für ins Haar. Und dann geht es um den Feinschliff. Da ich meine Schminksachen nicht dabeihabe, leiht Mercedes mir ihren Lippenstift und trägt mir Wangenrouge auf. Ich fühle mich wie vor einer Theateraufführung, als würde ich im nächsten Moment auf eine Bühne treten.

Doch es ist nicht die Bühne, sondern die Strassen Granadas und ich habe den Eindruck, dass unserem Dreiergespann etwas seltsame Blicke zugeworfen werden und fühle mich immer unsicherer. Doch dann fragt uns eine Frau im Bus, ob wir auch zum Fest gehen. Sie spricht so schnell Spanisch mit mir, dass ich sie etwas verdattert anschaue. Und da fragt sie, ob ich denn nicht von hier sei. Sie hat geglaubt, ich sei eine Granadina, eine Einwohnerin Granadas. Nach diesem Kompliment fühle ich mich schon viel wohler im Kleid und trage es mit Stolz.

Am Fest gibt es unzählige Zelte mit Musik und Tapas. Nicht überall wird spanische Musik gespielt, in einem Zelt scheppern Hits aus den 1980er-Jahren aus den Lautsprechern, einige Spanier tanzen vor der Bühne. Auch Mercedes tanzt neben unserem Tisch. Ich bin froh, dass ich mich einfach an meinem Plastikbecher mit Rioja festhalten kann und nicht Flamenco tanzen muss. Ein Kleid macht leider noch keine Tänzerin.


Um 23 Uhr zeigen verschiedene Schülerinnen der Escuela Municipal de Flamenco «Reina Sofía» auf der Bühne verschiedene Arten von Flamenco. Dahinter steht ein riesiger Torbogen, der über und über mit kleinen Lämpchen besetzt ist. Punkt Mitternacht werden sie eingeschaltet, das Lichterfest zu Fronleichnam ist offiziell eröffnet. Ein bisschen Kitsch muss halt sein.

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