Auf Mexikos höchster Mayapyramide die Seele baumeln lassen

Auf Mexikos höchster Mayapyramide die Seele baumeln lassen

Im mexikanischen Bundesstaat Chiapas gilt Palenque als Mekka der Mayaruinen. Aber nachdem ich in Toniná war, hat mich die Ruinenstadt offen gesagt etwas enttäuscht. Toniná wird von den meisten Touristen ausgelassen, was vielleicht auch ein Grund dafür war, dass es mir dort so gut gefiel. Die Ruinen von Toniná liegen wenige Fahrtminuten ausserhalb von Ocosingo, einer kleinen Stadt zwischen San Cristóbal de las Casas und Palenque. Die Reisebusse fahren nicht mehr durch Ocosingo, da es in letzter Zeit Strassenblockaden und Überfälle gab. Trotzdem nahm ich das Colectivo von San Cristóbal nach Ocosingo. Tagsüber passierte glücklicherweise nichts.

Zwei Nächte bleibe ich in Ocosingo, das ich als sehr gemütlich empfinde. Am frühen Morgen gehe ich zum Markt, von wo aus das Colectivo zur archäologischen Stätte von Toniná fährt. Um kurz vor neun Uhr bin ich die erste Touristin, die sich an diesem Tag ins Gästebuch einträgt. Ein Feldweg führt vom Parkplatz zur Pyramide und als ich sie sehe, bin ich einen Moment lang sprachlos. Mit 74 Metern ist es die höchste Mayapyramide in Mexiko. Das mag daran liegen, dass die Maya einen Trick angewendet haben: Sie haben die Pyramide nicht von Grund auf errichtet, sondern einen natürlichen Berg mit den Steinen verkleidet. So brauchten sie weniger Baumaterial und weniger Zeit. Denn 400 vor Christus war es ohne Baumaschinen eine Herausforderung, ein solches Werk zu bauen.

Der erste Anblick von Toninás Pyramide.
Sieben Plattformen bilden die Pyramide.

Die Pyramide besteht aus sieben Plattformen, auf denen sich unterschiedliche Gebäude befinden. Im rechten Bereich (von unten gesehen) lebten die Regierungsmitglieder, im linken Bereich Angehörige der Armee. Auf der vierten Plattform befinden sich verschiedene Tempel. Einer war dem Erdmonster geweiht. Er ist nach den Sonnenständen der Sonnwendtage ausgerichtet. Man erkennt noch die Fratze des Ungeheuers, das nach dem Glauben der Mayas die Sonne verschlungen haben soll. Unter der Fratze liegt eine steinerne Kugel, welche die Sonne darstellt.  

Das Erdmonster, das die Sonne verschlungen hat.

260 Stufen führen von der Wiese bis auf den höchsten Punkt der Pyramide, so viele wie der Mayakalender Tage hat. Ich mache mir die Eigenschaften dieses besonderen Bauwerks zunutze und gehe nicht mittig nach oben, sondern auf der rechten Seite, wo ich auf dem Boden des natürlichen Bergs hinauf wandern kann. In einige Gebäude kann man hineingehen, doch allein getraue ich mich nicht in jedes, denn man kann sich in diesem Labyrinth leicht verirren. Von der obersten Plattform geht es steil hinauf. Für die letzten 91 Stufen muss man schwindelfrei sein. Als ich oben ankomme, bin ich nicht nur wegen des Aufstiegs atemlos. Die Aussicht ist fantastisch.

Die letzten steilen Stufen…
…und die Belohnung.

Obwohl ich die erste Besucherin bin, bin ich nicht ganz allein. Oben sitzt Hugo, ein Mitarbeiter der Archäologischen Zone von Toniná, der aufpasst, dass keine Touristen auf Mauern klettern. Wir sitzen eine Weile nebeneinander und unterhalten uns, so gut es in meinem gebrochenen Spanisch eben geht. Ich erzähle ihm von der Reise und von meiner Arbeit als Journalistin. Er ist, wie die meisten Mexikaner, erstaunt, dass ich allein reise. Er fragt, ob ich keinen Freund oder Mann hätte, auch diese Frage höre ich nicht zum ersten Mal. Er sagt mir, dass man in Mexiko normalerweise früh heiratet und fragt mich, warum ich noch Single sei. Eine sehr persönliche Frage, aber hier sind die Menschen eben direkter als bei uns. «Ich habe halt bisher nicht…», stammle ich auf Spanisch und will sagen «den Richtigen kennen gelernt». «El verdadero amor», hilft Hugo mir auf die Sprünge, «die wahre Liebe». Er hat sie gefunden, er hat eine Frau und drei Kinder im Teenageralter.

Hugo erzählt mir auch einiges über Toninás Geschichte. Der Name bedeutet auf Tzotzil «Haus der Steine», Historiker nehmen jedoch an, dass die Stadt ursprünglich Popo genannt wurde. Inschriften deuten darauf hin, dass die Bewohner Toninás sehr kriegerisch waren und Schlachten gegen das benachbarte Palenque führten. Von 400 vor Christus bis etwa 900 nach Christus war Toniná bewohnt. Warum die Mayas danach die Stadt verliessen, kann nur vermutet werden. «Vielleicht wurden sie in einer Schlacht ausgerottet oder gefangen genommen oder es gab eine Epidemie einer Krankheit», erklärt Hugo.
Als hinter uns dunkle Wolken aufziehen, nennt er einen weiteren interessanten Fakt über diesen Ort: «Hier regnet es fast nie. Hinter und vor der Pyramide schon, aber genau über uns fällt selten Regen.» Die Mayas wussten, wo sie ihren Tempel bauen mussten.

Nach etwa einer Stunde bekommen wir Gesellschaft: Eine Mexikanerin aus Hidalgo klettert mit ihrem Patenkind auf die Pyramide. Auch mit ihr wechsle ich ein paar Worte. Sie ist Anwältin bei der Coordinadora nacional de mujeres indigenas (Nationale Koordinationsstelle für indigene Frauen) für deren Rechte sie sich stark macht. Leider ist mein Spanisch zu limitiert, um ein Gespräch darüber zu führen und sie muss auch schon bald wieder weiter.

Drei Stunden sitze ich einfach nur auf der Pyramide, betrachte die Landschaft und lasse meine Seele baumeln. Dazu braucht es nicht immer Strand und Palmen. Mit einigen Touristen unterhalte ich mich, etwa mit zwei High School Lehrern aus Kalifornien, die für diesen Urlaub den Unterricht schwänzen. Oder mit einer Gruppe von Mexikanern, die nur kurz fragen, woher ich komme und natürlich ob ich alleine reise, und dann wieder die 260 Stufen hinuntersteigen. Als mein Hunger zu gross wird, mache auch ich mich an den Abstieg.

Eine Replik, das Original befindet sich im Museum.

Calakmul – von Affen besiedelte Mayastätte  

Dass eine andere Ruine Toniná toppen könnte, hätte ich nicht gedacht. Aber vor wenigen Tagen war ich in Calakmul. Es war neben Tikal in Guatemala eine der bedeutendsten Mayastädte während der klassischen Periode (ca. 250 bis 900 n. Chr.). Toniná ist wohl Mexikos höchste Pyramide, aber Calakmul ist eine der abgelegensten Stätten. Die Ruinen liegen mitten im Dschungel und das macht sie zu einem abenteuerlichen und geheimnisumwobenen Ziel. Es gibt zwar Tagestouren von Campeche aus, aber das war mir zu stressig. Ich fuhr mit dem Bus nach Xpujil, einem kleinen Dorf an der Durchfahrtsstrasse zwischen Campeche und Chetumal.
Mit einem Colectivo fahre ich bereits um 5.45 Uhr in Xpujil los, denn auch wenn es der nächste Ort bei Calakmul ist, fährt man trotzdem noch zwei Stunden bis zur archäologischen Zone. Die letzten Kilometer führen durch den Dschungel. Auf dem Weg begegnen uns bereits die ersten Tiere: Truthahne, die überhaupt keine Angst vor den Autos und fotografierenden Touristen zu haben scheinen. Um 8 Uhr sind wir unter den ersten Touristen in Calakmul. Die archäologische Zone ist gross, aber ich habe viereinhalb Stunden Zeit, bevor ich wieder zurück beim Auto sein muss.

Als erstes steige ich auf die dritthöchste Pyramide Calakmuls. Mehrmals drehe ich mich auf der steilen Treppe um, denn ich weiss, dass man von hier aus angeblich die höchste Pyramide der Stätte sehen kann. Aber ich sehe nur Bäume und dabei bin ich schon fast zuoberst. Doch dann, wenige Stufen später, drehe ich mich um und was ich sehe, raubt mir den Atem. Da steht sie plötzlich und thront majestätisch über den Baumkronen. Es ist ein Anblick, den ich nie vergessen werde. Und um das Bild noch perfekt zu machen, fliegen zwei Tukane über die Baumkronen, leider zu schnell für meine Kamera.

Die 45 Meter hohe Pyramide von Calakmul trhont über dem Dschungel.

Ich könnte locker auch hier drei Stunden sitzen, würde die Sonne nicht bereits um 9 Uhr vom Himmel brennen. Also klettere ich die Stufen wieder hinunter und bin froh über die schattenspendenden Bäume. Als ich direkt vor der höchsten Pyramide stehe, wirkt sie trotz der 45 Meter Höhe weniger eindrücklich als vom anderen Bauwerk aus gesehen. Der Aufstieg in der Sonne ist anstrengend, aber jede Stufe wert. Die Aussicht über den endlosen Dschungel ist fantastisch. Bis nach Guatemala kann man sehen: Ein winziges Dreieck am Horizont ist die Pyramide der Ruinen von El Mirador im Nachbarland. Plötzlich ertönt ein Gebrüll und man könnte meinen, es sei einer der rund 4800 Jaguare, die noch in Mexiko leben. Doch dieses Geräusch, das knapp 100 Dezibel erreicht, stammt von einem wesentlich kleineren Tier: Brüllaffen verteidigen ihr Revier.

Der Aufstieg in der Sonne ist anstrengend, aber lohnenswert.

Die vielen Tiere sind ein weiteres Highlight in Calakmul. Ich kann eine Gruppe Brüllaffen beobachten. Um ein Haar hätte eines der Männchen mir auf den Kopf gepinkelt. Später entdecke ich mehrere Gruppen Klammeraffen. Eines der Männchen (vermutlich der Chef der Truppe) liegt faul über einem Ast und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Nicht einmal durch die jungen Affen, die ihm beim Spielen auf den Rücken springen.  

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