Korallenmeer: Farbenparadies und dunkler Tod zugleich

Korallenmeer: Farbenparadies und dunkler Tod zugleich

Eigentlich wollte ich das kleine Dorf zwischen den Touristenhotspots Airlie Beach und Hervey Bay auslassen. Aber ich bin froh, dass ich in Agnes Water Halt gemacht habe – geblieben bin ich schliesslich vier Nächte. Das Dorf hat momentan etwa 1800 Einwohner und verdankt seinen Namen dem Küstenschoner «Agnes», der 1873 vor der hiesigen Küste versank. Ein schlechtes Omen, einen Ort nach einem gesunkenen Boot zu benennen? Vor zwei Jahren geschah in der See vor Agnes Water das schlimmste Unglück der Fischereiseefahrt. Am 16. Oktober 2017 geriet das Fischerboot in einen Sturm und kenterte mit sieben Männern an Bord. Sechs von ihnen starben, nur einer kam mit dem Leben davon. Ein kleines Museum in Agnes Water, das die Geschichte des Dorfes darstellt, hat auch dieser Tragödie eine Wand gewidmet. Von Fotos lachen die Seemänner den Besuchern entgegen. Die meisten waren erst um die 30 Jahre alt, als sie starben. Sie hinterliessen Familien, Frauen, Kinder, Geschwister und Freunde. Diese haben den Verstorbenen Widmungen und Gedichte geschrieben, die im Museum unter den jeweiligen Bildern hängen.
Ian, mein Gastgeber im Airbnb, erzählt mir nach dem Museumsbesuch, dass er damals bei der Volunteer Marine Rescue (beim freiwilligen Marinerettungsdienst) war und sofort am Tag nach dem Unglück mit einem Such-Team mit mehreren Booten hinausfuhr, um nach den Vermissten zu suchen. Doch die Rettung kam zu spät. Die sechs Männer hatten sich nicht aus dem gedrehten Boot befreien können, weil es keine Luken im Boden hatte, die man hätte öffnen können. In einem Magazinartikel, der im Museum ausliegt, schildert ein anderer Seemann, wie dunkel es in so einem Boot ist. «Wenn du die Hand nicht mehr vor Augen siehst, dreh dich noch mit geschlossenen Augen im Kreis. Dann weisst du ungefähr, wie sich diese Männer gefühlt haben müssen, als das Boot kenterte.»

Ich verdränge die Gedanken an das Bootsunglück, als ich am nächsten Tag selbst auf einem kleinen Boot über die Wellen schaukle. Einige Passagiere werden Seekrank, denn die Überfahrt zu Lady Musgrave Island ist rau. Aber ich habe gehört, dass die Korallen des südlichen Great Barrier Reefs hier noch sehr intakt sein sollen. Die Insel ist benannt nach der Frau des Engländers Sir Anthony Musgrave, der Gouverneur verschiedener britischer Kolonien war. 1938 wurde die Hälfte der Insel zum Nationalpark erklärt, seit 1967 ist die gesamte Insel geschützt. Um die Insel liegt ein Korallenatoll (ein ringförmiges Riff), weshalb das Wasser hier sehr ruhig ist und die seekranken Passagiere nach der zweistündigen Überfahrt aufatmen. Zuerst geht die Fahrt im Glasbodenboot zur Insel hinüber. Der bärtige Seemann steuert unsere Gruppe fachkundig über die Korallen und es stimmt: Ich habe wirklich noch keine schöneren gesehen, seit ich in Australien bin. Sie leuchten in Rot, Violett und Blau und es gibt hier viele Fische und Meeresschildkröten.

Zurück auf dem Boot können wir schnorcheln gehen. Wir ankern gleich neben einer Schildkröten-Putzstation: Ein Teil des Riffs, wo die Schildkröten ihre Panzer von kleinen Fischen reinigen lassen. Auch Krill kommt her und putzt den Schildkröten die Zähne. Ab und zu taucht eine auf, um zu atmen. Es ist ein Highlight mit den gemütlichen Tieren zu schwimmen. Wenn sie sich fortbewegen, sehen sie aus als würden sie durch das klare Wasser schweben.

Eine Meeresschildkröte schwimmt zu den Korallen, wo sie sich von Fischen putzen lässt.

Die Rückfahrt nach Agnes Water ist wesentlich ruhiger als die Hinfahrt. Wir haben das Glück, Buckelwalweibchen zu beobachten, die mit ihren neugeborenen Kälbern in Richtung Süden wandern. Meine erste Walbeobachtung ist ein magisches Erlebnis. Denn das war einer der Hauptgründe, weshalb ich meine Route so gewählt habe, dass ich in der Walsaison in Australien sein würde. Vom Boot aus können wir den Sonnenuntergang sehen.

Ein schöner Aussichtspunkt für Sonnenauf- und auch -untergänge ist der Bustard Bay Lookout am nördlichsten Punkt der Landzunge beim Dorf 1770. Dieses erhielt seinen Namen, weil der Entdecker James Cook in jenem Jahr das erste Mal im heutigen Queensland an Land ging. Es ist eine Besonderheit, dass man an Australiens Ostküste nebst dem Sonnenaufgang auch den Untergang beobachten kann. Hier befindet sich auch das Denkmal für die sechs Fischer, die ihr Leben im Meer verloren haben. Als Erinnerung an die Väter, Brüder, Freunde. Und als Mahnmal, damit man nicht vergisst, wie mächtig das Meer sein kann.

Eine Besonderheit: Der Sonnenuntergang an Australiens Ostküste.
Das Denkmal für die verstorbenen Fischer auf der FV Dianne

3 Gedanken zu „Korallenmeer: Farbenparadies und dunkler Tod zugleich

  1. Liebe Mirjam
    Toll, was du alles unternimmst und erlebst in der weiten schönen Welt. Wir Lesern deine Berichte mit grossem Interesse und danken dir für die unterhaltsamen und spannenden Texte. Wir wünschen dir weiterhin eine gute Reise.
    Herzliche Grüsse nach Australien
    Brigitta und Thomas Imhof-Manser

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