Der australische Albtraum

Der australische Albtraum

Etwas vom Ersten, was ich hier in Australien erlebt habe, war die negative Einstellung gegenüber den Aborigines. An meinem ersten Abend setzte sich im überfüllten Restaurant eine Familie zu mir an den Tisch, ein älteres Ehepaar und ihre erwachsene Tochter. Sie sagte mir, ich solle mich vor den Aborigines in Acht nehmen. Sie seien Trunkenbolde, die nichts tun und Frauen belästigen. Ich war schockiert zu hören, wie sie über die eigentlichen Australier – die Urbevölkerung dieses Landes – sprach. Dass viele Aborigines ein Alkoholproblem haben, liegt wohl daran, dass ihnen von den Weissen alles genommen wurde und man sie in Reservate steckte.

Heute habe ich im Kino in Brisbane einen sehr interessanten, eindrücklichen und bewegenden Film zu diesem immer noch heiklen Thema gesehen: «The Australian Dream». Es ist eine Dokumentation über den australischen Footballspielers Adam Goodes. Aber es ist mehr als die Geschichte eines Footballstars. Es ist die Geschichte eines Mannes, der weder ganz Aborigine noch ganz weiss ist, der sein Leben lang mit Mobbing und rassistischen Beleidigungen zu kämpfen hatte und der schliesslich im australischen Outback wieder zu sich selbst fand.

Der offizielle Trailer zum Film.

Adam Goodes ist der Sohn einer indigenen Australierin und eines irisch-schottischen Vaters. Die Mutter war schon früh alleinerziehend und zog mit den drei Söhnen oft um. Adam Goodes Zufluchtsort wurde bald das Sportfeld. Er begann in der Schule Australien Rules Football zu spielen, etwas weiteres, das die Australier den Aborigines genommen haben, denn die Sportart wurde unter dem Namen Marn Grook Tausende von Jahren zuvor von den Aborigines gespielt. Adam Goodes’ Talent wurde schnell erkannt und er wurde von den Sydney Swans unter Vertrag genommen.

Der Dokumentarfilm schildert mit Fernsehaufnahmen aus der damaligen Zeit und mit aktuellen Interviews Goodes’ steile Karriere aber auch seine Suche nach seiner Herkunft. Seine Mutter hatte nie wirklich darüber gesprochen, woher sie kamen, bis vor einigen Jahren eine Doku-Serie über seine Herkunft gedreht wurde. Erst da erzählte ihm seine Mutter, dass sie selbst als Fünfjährige ihren Eltern weggenommen wurde. Die australische Regierung führte diese Massnahmen zwischen 1909 und 1969 durch, um eine weisse Rasse «zu züchten» und die Aborigines zu assimilieren. Die Kinder kamen in Heime oder wurden von weissen Familien adoptiert und erhielten eine westliche Ausbildung und sollten weisse Partner heiraten, um das Blut immer mehr zu mischen, bis es schliesslich keine schwarze Haut mehr gab. Heute werden diese Kinder als «gestohlene Generation» bezeichnet und die Aktion gilt als rassistischer Verstoss gegen die Menschenrechte. Damals wurde mit diesem Bild für die Aktion geworben:

Von rechts nach links: eine Halb-Aborigine, dann ihre Tochter, die ein Viertel indigenes Blut hat, und der blonde Enkelsohn mit einem Achtel indigenem Blut. (Quelle: State Library of Western Australia)

Ein weiterer schockierender Fakt, der im Film thematisiert wird, ist das Referendum von 1967: Die australische Bevölkerung stimmte darüber ab, ob die Aborigines als australische Bürger anerkannt werden sollten. Die Menschen des Volkes, das seit etwa 60’000 Jahren den Kontinent bevölkert, erhielten erst 1967 das Recht, sich als Bürger des eigenen Landes zu bezeichnen.
Selbst im 21. Jahrhundert hatte Adam Goodes mit rassistischen Beleidigungen zu kämpfen. Bei einem Spiel rief eine 13-Jährige in der ersten Reihe: «Goodes you’re an ape!» (Goodes du bist ein Affe). Er liess sie von Sicherheitsleuten aus dem Stadion verweisen, was einen Shitstorm in den digitalen Medien auslöste. Es wurde nicht mehr wirklich besser, Goodes wurde bei jedem Spiel ausgebuht. Als er dies als rassistische Beleidigung bezeichnete, äusserten sich die Australier in den Medien dazu, sagten, sie buhen nicht, weil er schwarz sei, sondern weil sie das andere Team unterstützen.
Eine Nation diskutiert über ein Buh, obwohl die Probleme weit tiefer liegen. Dass die Aborigines weniger als drei Prozent der Bevölkerung ausmachen, jedoch 25 Prozent der Insassen in den Gefängnissen – das ist rassistisch. Dass ein jugendlicher Aborigine eher im Gefängnis landet, als die High School zu beenden – das ist rassistisch. Dass ein indigener Australier mehrfach kontrolliert wird, wenn er ein neues Auto fährt, weil der Polizist denkt, es sei gestohlen – das ist rassistisch.
Doch in allen Medien ist das rassistische Buh gegen Adam Goodes Tagesthema Nummer eins. Es bringt ihn so weit, sein Team, seine Frau, seine Stadt zu verlassen und zu den Ureinwohnern ins Outback zu fahren. Hier, wo es nichts gibt ausser der Natur, findet er wieder zu sich selbst. Währenddessen äussert sich der Journalist Stan Grant, der ebenfalls indigene Wurzeln hat, in einer ergreifenden Rede anlässlich der «IQ2 debate» 2015 zu den Vorfällen um Adam Goodes. Doch er geht dabei weiter und schildert das Problem einer geteilten Nation.  

«Ich kann nicht sagen, was die Hintergedanken der Leute waren, die Adam Goodes ausgebuht haben. Aber ich kann euch sagen, was wir gehört haben. Wir hörten etwas, das uns sehr vertraut ist. Wir hörten einen Schrei der Demütigung, dessen Echo durch zwei Jahrhunderte nachhallt, zwei Jahrhunderte, die geprägt waren von Enteignung, Ungerechtigkeit, Leid und Überleben. Wir hörten den Schrei des australischen Traums, der uns abermals sagte: Ihr seid nicht willkommen.

Stan Grant bei der Rede anlässlich der IQ2 debate 2015.

Am 26. Januar feiern die Australier den Australia Day. Für die Aborigines ist dies einer der schlimmsten Tage des Jahres. Denn damit feiern die Australier die Invasion in ein Land, das jemandem gehörte und den Beginn der Vernichtung eines Volkes. «Der australische Traum hat seine Wurzeln im Rassismus, Rassismus war schon da, als die Nation geboren wurde. […] Aber Rassismus tötet den australischen Traum», sagt Stan Grant in seiner Rede. Er schliesst sie mit folgenden Worten: «Eines Tages will ich hier stehen können und so laut wie jeder andere rufen können: ‹Australians ALL, let us rejoice!›» (Australier (und zwar) ALLE, lasst uns fröhlich sein!)

2 Gedanken zu „Der australische Albtraum

  1. Liebe Mirjam,
    ein Blogartikel, der sehr unter die Haut geht und berührt. Ich bin soeben auf Deinen interessanten Reiseblog gestossen, Monica Dörig sei Dank, denn sie hat mir den Link geschickt ;-). Ein tolles Reiseprojekt und richtig schöne Berichte mit tollen Fotos. Ich hoffe, das Heimweh hat sich nachhaltig gelegt (im Appenzellerland herrscht nasses, windiges Wetter, Du verpasst nicht viel hier) und wünsche weiterhin eine erlebnisreiche, wunderschöne Reise und ganz viel nurMut 😉 !
    Herzlichst
    Petra Kochgruber

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