Hanf-Hauptstadt – wo Abhängige zur Touristenattraktion werden

Hanf-Hauptstadt – wo Abhängige zur Touristenattraktion werden

«Fucking camera at one o’clock!» Der bärtige Mann, der auf dem Picknicktisch am Strassenrand sitzt, klingt wütend. Wütend auf mich, denn ich trage die «fucking» Kamera in der Hand. Ich habe in Nimbin ein paar Bilder geschossen – von bunten Häusern, von Hippieläden mit alternativen farbigen Baumwollkleidern und von den Menschen. Von drei Männern in schmutzigen Kleidern, die auf dem Dorfplatz sitzen. Von einem Mann mit zotteligen Haaren und beinahe auch von dem bärtigen auf dem Picknicktisch. Doch bei seiner wütenden Warnung an seine Kollegen suche ich das Weite. Ich wollte die Männer nicht aus Sensationslust fotografieren, sondern um euch Lesern hier zeigen zu können, was in Nimbin los ist.

Eine der beiden Strassen in Nimbin.

Nimbin gilt als Hanf-Hauptstadt oder als Hippie-Stadt. Stadt ist jedenfalls übertrieben, das Dorf am Fusse eines längst erloschenen Vulkans besteht nur aus zwei Strassen. Den Ruf von Amsterdam Australiens erhielt das Dorf nach 1973. Damals fand hier das vierte und letzte Aquarius Festival statt. Studenten organisierten es, mit dem Ziel, alternatives Denken und einen nachhaltigen Lebensstil zu feiern. Nach dem Festival blieben einige 100 Menschen in Nimbin und es entstanden die ersten Kommunen. Der Anbau, Verkauf, Erwerb und Besitz von Cannabis ist im Staat New South Wales verboten, also auch in Nimbin. Obwohl es hier eine Polizeistation gibt, wird Cannabis hier jedoch offen verkauft und konsumiert. Doch auch hier kommt es immer wieder zu Verhaftungen.  
1993, nach einem Jahrzehnt mit Verhaftungen, und Undercover-Käufen, zogen wütende Bewohner Nimbins zur Polizeistation und bewarfen sie mit Eiern und Toilettenpapier. Da dies negative Zeitungsberichte nach sich zog, rief die «Hemp Embassy» (Hanf-Botschaft) den Mardi Grass ins Leben, einen friedlichen Protestzug durch Nimbins Strassen. Jedes Jahr am ersten Wochenende im Mai findet die Demonstration seither statt. Hunderte Menschen fordern damit die Legalisierung von Cannabis.

Heute fahren verschiedene Organisationen die Touristen in bunt bemalten «Hippie-Bussen» nach Nimbin. Auch ich habe mich einer solchen Tour angeschlossen, da ich keinen fahrbaren Untersatz gemietet habe. Viele Backpacker kommen hierher, um sich die Einstiegsdroge zu kaufen. Von den zwei oder drei Geldautomaten, die es im Dorf gibt, werden wöchentlich über 600’000 australische Dollar (ca. 400’000 Franken) bezogen. Das gibt eine vage Idee darüber, was die Menschen hier für Drogen ausgeben. Einige von Nimbins Bewohnern sind längst nicht beim Cannabis geblieben. Eine Frau, die praktisch nur noch aus Haut und Knochen besteht, geht vor mir auf dem Bürgersteig. In den Armen hält sie ein Baby. Ihre Abhängigkeit ist offensichtlich. Und das ist es, was Nimbin zu einem traurigen Ort macht. Die Sucht der Menschen wird zur Touristenattraktion. Die bunten Wände der Hippie-Strasse, sind im wahrsten Sinne des Wortes nur Fassade.

Bunt ist nur die Fassade. Die Menschen scheinen abgestumpft.

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