Eine Beerdigung und eine Schulstunde

Eine Beerdigung und eine Schulstunde

Nach dem Unabhängigkeitstag beginnt in Indonesien die Karnevalszeit. Die Kinder ziehen verkleidet durch die Strassen als Krankenschwestern, Polizisten, Soldaten, Prinzen, Braut und Bräutigam, Priester oder Fischer. Auch im Dorf Ahuwair etwa 30 Kilometer östlich der Stadt Maumere in Flores findet ein Umzug statt. Die Besitzer des «Sante Sante»-Homestays Marleno und Katrin haben mich eingeladen, sie zum Umzug zu begleiten. Als wir ankommen, ist die Parade schon in Gang, mit dem Auto ist an ein Durchkommen nicht mehr zu denken. Also steigen wir aus und beobachten den Umzug vom Strassenrand aus. Die Indonesier beobachten mich mit der gleichen Neugierde, wie ich sie beobachte und viele machen Fotos von mir. «Die meisten wollen einfach ein Foto von einer weissen Person haben, weil das für sie besonders ist», erklärt Katrin mir.

Als die Parade vorüber ist, trifft sie eine Bekannte und unterhält sich mit ihr. Mama Ina – Mama ist in Indonesien die Anrede für Frauen – lädt uns zu Kaffee und Keksen ein. Als wir auf den Platz zwischen den Hütten treten, stehen dort auf dem Tisch mehrere Schüsseln mit Reis, Gemüse und Fleisch und etwa 50 Männer und Frauen schöpfen sich davon. Zum Essen setzen sich die Männer auf die eine, die Frauen und die Kinder auf die andere Seite des Platzes. Wir sitzen in der Mitte auf Plastikstühlen, als Tisch für die Kaffeegläser und die Kekse dient ein weiterer Plastikstuhl. Der Flores-Kaffee besteht aus fein gemahlenem Pulver, das direkt ins Glas gegeben und mit Wasser aufgegossen wird. Er ist unglaublich stark gesüsst, aber ich liebe ihn so und habe schon viel zu viel davon getrunken. Als wir uns setzen, erklärt Katrin mir, dass dies eine Familienzusammenkunft für eine Beerdigung ist: Mama Inas Schwiegervater ist am Tag zuvor gestorben.

Die Frauen haben sich auf einer Seite des Platzes versammelt, wir sitzen in der Mitte.

Wenn in Indonesien jemand stirbt, wird der Leichnam aufgebahrt und sofort kommt die ganze Familie zusammen. Jeder bringt etwas mit, Geld oder etwas zu essen, ein Schwein war auch dabei. Die Männer schlachteten es am Vortag, die Frauen kochten das Essen.
Wir erleben nun den zweiten Tag der Beerdigung, an dem es gar nicht traurig zu und hergeht. Es wirkt auf den ersten Blick einfach wie ein Familienfest, obwohl die meisten Schwarz tragen. Inas Schwager lädt uns ebenfalls zum Essen ein. «Makan! Makan!», sagt er. «Esst! Esst!»
Dass in der Schweiz Fremde zu einer Beerdigung eingeladen werden, ist undenkbar. Hier scheint es selbstverständlich zu sein. Ich fühle mich willkommen, die Menschen hier sind so freundlich. Nach dem Essen dürfen wir vom Arak, dem Palmschnaps, probieren. Er ist stark, aber süss und man schmeckt immer noch die Frucht.

Gleich neben dem Haus sind schon andere Gräber und hier haben einige Männer ein neues ausgehoben, das sie nun mit Ziegelsteinen und Zement ausmauern. Am dritten Tag wird der Sarg ins Grab gehoben und alle werden dann Abschied von Mama Inas Vater nehmen. Dazu wird auch ein Priester für das Gebet kommen. Einen Monat später wird sich die Familie erneut mit dem Priester treffen als Erinnerung an die Beerdigung und die verstorbene Person. Und nach einem Jahr, während dem die Angehörigen Schwarz trugen, kommen erneut alle zusammen und feiern das Ablegen der Trauerkleider, das «Öffnen der Hemden», wie sie es hier nennen.

Aber noch scheint dieser Moment weit weg zu sein. Die Kinder rennen lachend über den Hof, viele haben verschmierte Nasen, und dreckige Hände, aber sie sind fröhlich, das ist die Hauptsache. Einige nähern sich mir neugierig und wenn ich sie anlächle, lächeln sie schüchtern zurück. Aber nach und nach nähern sie sich mir mehr. Ich bin mit den anderen Gästen des Homestays ins Gespräch vertieft, deshalb merke ich nicht, dass immer mehr Kinder zu mir kommen. Als ich mich umdrehe, sitzt plötzlich eine ganze Kinderschar neben mir. Sie haben die Plastikstühle zu mir getragen und sich in einem Halbkreis zu mir gesetzt. Als ich mich zu ihnen drehe, schauen mich zehn Augenpaare neugierig an. Ich fühle mich beobachtet und lache etwas peinlich berührt, doch sie schauen weiter erwartungsvoll zu mir. Also packe ich aus, was noch von meinem Lehrerwissen übrig ist, und beginne einen Rhythmus zu klatschen und zu schnippen. Die Mädchen und Buben schauen fasziniert zu und versuchen es dann selbst. Immer wieder zeige ich es vor, bis die älteren Kinder es können. Ich versuche, mir alle Namen einzuprägen, und für einen Moment schaffe ich das auch, aber bereits während ich das hier schreibe, habe ich einige schon wieder vergessen.

Die Kinder sagen mir einige Farben auf Englisch und ich bringe ihnen ein paar neue bei. Dann lehren sie mich, auf Indonesisch von eins bis zehn zu zählen und sie brauchen viel Geduld mit mir, denn ich kann mir die fremdartig klingenden Worte kaum einprägen. Ausser «dua» für «zwei» kann ich kein Wort ableiten und muss mir alles auswendig merken. Für die Mädchen und Buben ist es aber ein Kinderspiel, auf Englisch von eins bis zehn zu zählen.

Ich bringe den Kindern ein Klatschspiel und ein paar Worte Englisch bei.

Als es Zeit wird zu gehen, kommt jedes Kind zu mir und verabschiedet sich von mir, in dem es mir die Hand reicht und dann seine Stirn auf meine Hand legt. Es ist ein Zeichen des Respekts und ich bin sprachlos. Ich habe nur ein Klatschspiel und ein paar Brocken Englisch mitgebracht und doch verabschieden sich die Kinder von mir, als wäre ich ihre Lehrerin. Diese Begegnung war unheimlich bereichernd und wer weiss, vielleicht unterrichte ich ja eines Tages Englisch in Asien.

Ein Gedanke zu „Eine Beerdigung und eine Schulstunde

  1. Wow Liebe Miriam, sehr schön und wertvoll, was Du da erfahren darfst, so happy für Dich.
    Ich verfolge gerne deine Reise. Es muss sehr toll sein, da wo Du bist.
    Schöne Weiterreise liebes, Aloha! Küsli Erika

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